Gott oder das Geld

Rezension von Thomas Weiß (Deutsches Pfarrerblatt, 2/2004, S. 102-104)

Vincenzo Petracca, Gott oder das Geld. Die Besitzethik des Lukas (TANZ 39), A. Francke Verlag Tübingen/Basel 2003, 410 S., ISBN: 3-7720-2831-4, 64.- €.


Dissertationen – empfehle ich eigentlich nie, jedenfalls nie der größeren Leser- und Leserinnenschaft. Weil die Fach-Sprache meist ermüdet, und weil das Thema selten mehr Leute als den Autor selbst interessiert (und zwei, drei andere, die’s zu beurteilen haben), was selbstverständlich weniger an den doctores liegt, als an der Notwendigkeit, trotz der Fülle der Arbeiten immer noch mal was Neues zu sagen. Nicht leicht – und leicht hat es sich Vincenzo Petracca gewiss nicht gemacht, das zeigen die Fülle des verarbeitenden Materials, das intensive Quellenstudium, die Ausführlichkeit der Darstellung gleich.
Wer den Kirchheimer Kollegen kennt, den nimmt nicht Wunder, wenn ich von der Regel eine Ausnahme mache. Zu Akribie und Fleiß gesellt sich Sprachmacht. V. Petraccas Arbeit ist an keiner Stelle langatmig, auch wo er ins Detail geht, schöpft er aus der Fülle seiner sprachlicher Möglichkeiten, die die Lektüre zum Vergnügen machen, auch wenn es kein Roman oder Essay ist, den ich in Händen halte.
Das ist aber nur der literarische Aspekt. Der theologische und ethische macht es noch spannender. Irgendwie hat, wer durch die ethisch hochsensible theologische Schule der 80’er-Jahre gegangen ist (verbunden mit Namen wie Luise Schottroff, Wolfgang Stegemann, Gerd Theißen oder die lateinamerikanische Befreiungstheologie) das Gefühl, in Sachen Gott und Geld im Grund schon alles zu wissen – geklärt und erledigt.
Eben nicht!
Vincenzo Petraccas Beitrag räumt mit den alten Fronten (rechts die Bürgerlichen, Angepassten – links (halt die) Linken, Revolutionäre) auf und erläutert auf dem Hintergrund der exegetischen Arbeit am Lukasevangelium und mit Blick in die jüdischen und antiken Traditionen, inwiefern die lukanische Besitzethik und die „Option für die Armen“ radikal sind, und wo nicht. Zu bescheiden drum, wenn der Autor im Vorwort vermutet, sein Beitrag sei „unter der Perspektive des Zeitgeistes … antizyklisch“. Natürlich sind wir etwas abgekommen von der pauschalen Gesellschaftskritik und der Suche nach der „strukturellen Sünde“ (darum allerdings ist es schade), aber die Frage nach Gott Gott oder Gott Geld ist nicht obsolet.
Dass Lukas sie nach ihrem individuellen Aspekt angeht, macht die lukanische Besitzethik gerade für heute wieder relevant – persönlich relevant. Persönlich zum einen, für die theologische und ethische Botschaft der Kirche zum anderen. Im spannenden Schlusskapitel (Ich habe das Buch mit wachsender Neugier gerade daraufhin gelesen) sucht V. Petracca der „Tendenz zur Verharmlosung … der lukanischen Besitzaussagen“ zu steuern: „Nicht nur Armut, sondern auch Reichtum muss Gegenstand ethischer Reflexion sein. … eine christliche Ethik (sollte) auf die möglichen Risiken des Reichtums hinweisen“: Das sind Ungerechtigkeit, Gefangenschaft, falsche Sicherheit. Erfülltes Leben dagegen: „nur in Solidarität mit den Bedürftigen“! Die konsequente Anwendung des doppelten Liebesgebotes auf die Finanzfrage ist von Lukas zu lernen, wobei durchaus individuelle Verantwortung gefragt ist: Lukas traktiert eine Besitz- und keine Verzichtsethik!
Vincenzo Petraccas Dissertation gehört für mich zum Lehrreich-Vergnüglichsten, das ich in der letzten Zeit gelesen habe (ab und zu greif ich doch schon mal zur Wissenschaft). Empfehlung!
Und jetzt will ich ihn predigen hören.

Thomas Weiß
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